Stadtmeisterschaft Runde 4

Posted by Mattias Birkner in Allgemein, Saison 22/23, Turniere 22/23 | Kommentare deaktiviert für Stadtmeisterschaft Runde 4

Puh! Von einem Spieltag wie dem vierten der Stadtmeisterschaft muss man sich auch als Zuschauer erst einmal erholen, und es ist nicht mal sicher, ob der Platz hier ausreicht, die großen und kleinen Dramen, die schachlichen Finessen gebührend zu würdigen.

Drama in vielen Akten – Noah vs. Leo

Die Partie zwischen Noah Sellger und Leonhard Franke glich einem Ritt auf der Rasierklinge. Leo ließ zu Beginn einen Springer einstehen, im Glauben dieser sei tabu, weil nach dem Rückschlag die Dame kein Fluchtfeld mehr habe. Doch Noah fand das Loch in der Variante und stand mit einer Figur mehr da.

Mit 11…Dh4?? dachte Leo, dass nach 12.hxg4 Lxg4
die Dame gefangen sei, doch Noah fand 13. g3! das die schwarze
Dame angreift und ein Fluchtfeld auf h1 öffnet.

Nur wenig später verlor Noah die Mehrfigur wieder, nachdem er eine Fesselung übersehen hatte. Als Leo im 23. Zug seinen Turm für einen Verteidigungsbauern opferte, hätte das die Kombination des Turniers werden können, hätte Leo sie nur richtig durchgerechnet!

Das Turmopfer 23…Txf2!! ist noch korrekt, aber nach dem
erzwungenen 24.Kxf2 Tf8+ 25. Ke3 spielte Leo leider 25…Dxg3+??,
anstatt mit 25…Dg5+! dem König alle Fluchtmöglichkeiten zu nehmen

und Matt zu setzen.

Noahs König konnte also zunächst auf den Damenflügel entkommen, und Leo warf mit jugendlichem Elan alles gegen den weißen Monarchen, auf ein Wunder hoffend. Und Wunder gibt bekanntlich immer wieder… Noah hatte zwischenzeitlich Turm und Springer mehr am Brett (auch, wenn die nicht am Spiel teilnahmen). und als die folgende Stellung am Brett war, konnte man meinen, dass er den Sack zumachen würde.

Schwarz gehen allmählich die Schachgebote aus und es scheint,
als würde die weiße Mattdrohung auf g7 die Partie entscheiden,
doch der feine Zug 36…Tg6! hält das Spiel offen. Der Turm darf
nicht geschlagen werden, weil sonst die Dame auf d1 mattsetzt.

So konnte Leo Stück um Stück Material zurückerobern und wegen des verwundbaren weißen Königs eine Gewinnstellung erreichen. Ein letztes Kuriosum trat kurz vor Schluss auf, als sich Noah ein übermenschlicher Rettungsweg auftat, den er leider nicht fand (finden konnte).

Nach der offensichtlichen Mattdrohung 42…a5? hätte 43.Dd6!!
oder De7 Remis halten können. Das Matt auf b4 ist gedeckt
und Schwarz hat keine Zeit zur Rückeroberung des Springers
oder Turms, da die weiße Dame dann über f8 oder f4 Dauerschach

erzwingen kann. Das ist nur für Engines sofort klar, und man kann
Noah keinen Vorwurf machen, dass er hier das natürliche 43.b3?
zog, wonach die Partie verloren is
t.

So fand die Partie nach intensivem Kampf in Leonhard einen glücklichen Sieger und der Blutdruck der Beobachter war schon einmal auf Betriebstemperatur.

Wenig Aufregung am Spitzenbrett – Laura vs. Jozef

Am Spitzenbrett kämpften Laura Sophie Bauer und Jozef Smyk um die alleinige Tabellenführung. In einem offenen Spanier riskierten beide nicht viel, Laura hatte mehr Raum am Königsflügel, Jozef am Damenflügel und beide einigten sich im 38. Zug auf ein Remis, ohne das Endspiel „durchgeknetet“ zu haben. Die Tabellenführung bleibt damit bei Laura.

Die ungefähr ausgeglichene Schlussstellung.

ungeduldige Schachjugend – Martin gegen Ivan

Im zweiten Duell „Jugend gegen Erfahrung“ kämpfte Ivan Krushevsky (Jugend) gegen unseren Rekord-Vereins- und Stadtmeister Martin Simon (Erfahrung). Ivan wählte mit Schwarz einen „igel-ähnlichen“ Aufbau, bei dem Bauernvorstöße ins Zentrum zunächst unterbleiben und die schwarzen Figuren für einen sich bietenden Gegenstoß bereit gehalten werden.

Abgesehen vom schwarzen c- und dem weißen d-Bauern
hat Ivan einen vorbildlichen „Igel“ errichtet, der es für
Weiß nicht leicht macht, aussichtsreiche Pläne zu finden.

Die Schwierigkeiten, mit Weiß gegen einen Igelaufbau zu spielen, beschreibt der legendäre Schachtrainer Mark Dworetzki so:

„Weiß steht ideal, aber in dem Wort selbst steckt schon sein ganzes Problem, ein Ideal kann nicht mehr verbessert werden.“

Ivan konnte lange das Gleichgewicht und seine flexible Struktur bewahren. Erst als er ungestüm mit dem f-Bauern nach vorne stürmte, ergab sich für Martin eine taktische Chance auf Vorteil, die er allerdings nicht sah.

Ivans 17…f5?? erweist sich als Fehler, da der Bauer nun vom Läufer
geschlagen werden kann, 18.Lxf5!. Durch die Bauerngabel auf d6 und das
folgende Dxe6+ gewinnt man die Figur mit Zinsen zurück. Eine
Chance, die Martin übersah. Er spielte stattdessen 18…exf6 e.p.

Nach der verpassten Chance ließ Martin kurz darauf einen kleinen Trick Ivans zu, der einen wichtigen Zentralbauern kostete:

Nach Martins Fehler 27.f5?? (verbunden mit einem Remisgebot)
konnte Ivan mit 27…Lxe4! im Grunde eine Gewinnstellung erreichen.
Der Läufer ist wegen der Fesselung der Dame tabu. Nach
Damentausch bleibt der Läufer durch den Te8 gedeckt.

Damit erlangte Ivan eine Bauernwalze aus 5 Bauern, die die Entscheidung hätte bringen sollen, doch ließ er sich zu einem vorschnellen Vorstoß hinreißen und Martin ergriff die Chance zum Ausgleich.

Ivans Vorstoß 33…d5?? erhoffte sich den Tausch des weißen
b-Bauern gegen den schwarzen e-Bauern, doch nach 34.Tc3
nebst 35. a5! ist die schwarze Struktur zu geschwächt für
einen Sieg.

Besser als der ungestüme Vorstoß wäre die langsame Vorbereitung der Operation durch Verbesserung der Figurenstellung (z.B. durch 33…Tf4 ), oder die Stabilisierung der Struktur (z.B. durch 3..a5 oder 33…b5) gewesen.

Hier zeigt sich im Speziellen eine allgemeine Schwäche unserer starken Jungspieler: eine aussichtsreiche oder gar gewonnene Stellung auch gegen hartnäckigen Widerstand mit Bedacht zum Sieg zu führen will gelernt sein. Ein Martin Simon oder Jozef Smyk bricht eben nicht ein, wenn er mal zwischenzeitlich auf Verlust steht.

gefräßiges Pferd – Christoph vs. Wolfgang

Im nächsten Generationenduell hielt sich Christoph Reger mit dem Londoner System gegen Wolfgang Brunner lange gut und ausgeglichen, bis er den Verlockungen einen Bauerngewinns nicht widerstehen konnte und darüber seine Königssicherheit vernachlässigte.

Hier schnappte sich Christoph mit 21. Sxe5?? den Zentrumsbauern.
Nach dem Springertausch und gefolgt von 22…Db6 wurde der
Druck gegen f2 zu groß. Stattdessen hätte 21.Sh4! (mit der Drohung
Sg6+) Weiß Zeit gegeben, seine Königsstellung zu sichern.

So konnte Wolfgang in ein gewonnenes Endspiel mit deutlichem Material-Plus überleiten, das sich Christoph nicht mehr zeigen ließ.

alle Turmendspiele sind Remis – Erwin vs. Thomas

Die anspruchvollste Partie des Abends lieferten sich Erwin Hirn und Thomas Hummel. Erwin hatte das ganze Mittelspiel über leichten Vorteil, aber erst beim Übergang ins Turmendspiel griff Thomas fehl und das entstehende Endspiel ist für Erwin (laut Engine) theoretisch gewonnen. Das Finden des Gewinnplans war allerdings alles andere als einfach.

Nicht einfach zu gewinnen für Weiß. Erwin fand die richtige
Strategie, den schwarzen h-Bauern nach h5 zu zwingen
und dann von hinten Druck gegen h5, e5 und ggf. b7 zu machen.
Allerdings muss auch er aufpassen, dass Schwarz keinen
gefährlichen Freibauern bildet.

Kurios – aber keine Seltenheit – , dass ein natürlich ausschauender Königszug Thomas die Chance zum Remis eröffnet hätte. Die Eleganz und Stringenz der Manöver ist eine Freude für jeden Schachliebhaber und ein genaueres Studium wert:

Nach 58.Kc4?? ist das Endspiel nur noch Remis. Schwarz
kann seinen Freibauern – gedeckt von Tf7 – nun nach f2
vorstoßen und den weißen Turm dauerhaft an f1 binden.
Schwarz hat dann viele Wartezüge mit dem Turm auf der f-Linie,
während Weiß mit seinem König nichts erreichen kann. Die
Eroberung des f-Bauern ginge nur auf Kosten des c-Bauern, was zum Remis reicht.

Bis zu Thomas letztem Zug wäre die Stellung noch Remis gewesen, obwohl Erwin den e-Bauern gewonnen hatte und mit dem König gefährlich nahe kam.

Mit 63…Kc6?? gab Thomas endgültig das Remis aus der Hand.
Dem weißen König steht e6 offen und der d-Bauer läuft durch.
Hätte Thomas stattdessen 63…Tf8! (oder Tf7!) gespielt, wäre für Erwin kein
Durchkommen gewesen: die Rückkehr zum Bauern f2 wird durch Tf3 unterbunden.
Nach dem Vorstoß e5 (nach Kd4) nimmt Weiß die Blockade Ke6 und Tf5 ein,
wonach die Zentrumsbauern fallen. Man beachte, dass Weiß wegen des
gebundenen Turms auf f1 keine Wartezüge hat.

Nach seinem letzten Fehler musste also Thomas die Waffen strecken, und Erwin zeigt sich nach seiner Auftaktniederlage gegen Ivan mit 3 aus 4 gut erholt und wieder im Rennen.

unternehmungslustige Schachjugend

Kräfteschonend war das 10-zügige Remis zwischen Andi Hierl und Johannes Hierl. Hintergrund war das in der Nacht beginnende 24-Stunden Blitzschach-Marathonturnier auf Lichess. Bei diesem gedenkt sich unsere Schachjugend die Nächte um die Ohren zu schlagen. („Besser als Saufen und Kiffen“, denkt sich der besorgte Schach-Papa).

aufstrebende Schachjugend

Insgesamt haben die U16-Teilnehmer bis zur Turnierhälfte einen hervorragenden Eindruck hinterlassen und es ist zu hoffen, dass der Marathon gut verkraftet wird und der Endspurt auch gelingt.

Am kommenden Freitag findet das Nachholspiel Derichev – Kaufmann statt. Die 5. Runde erfolgt am 10.11.23

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